Fortsetzungsroman

Wenn das Nichts vom Gar Nichts einfach wegretuschiert wird

Was hält eine Gattung am Leben, die nicht mehr Leben will?

Letzte Überarbeitung: 27.05.2023

1

Bertram Rust war Vorsitzender des BDSS, der mittlerweile mehr Mitglieder hatte als der ADAC, als es ihn noch gab.

Die große Mitgliederzahl des BDSS lag daran, dass er die Interessen aller vertrat – oder „fast aller“, wie Bertram Rust sagte. „Nur Ausnahmen bestätigen die Regel“.

Die vielen Mitglieder ermöglichten eine gute Finanzierung des Vereins. Weniger wegen der Mitgliedsbeiträge, die waren gering. Es waren die Sponsoren, die den Verein vermögend machten. Ein ganzer Wirtschaftszweig geierte danach, beim BDSS werben zu dürfen.

So war es kein Wunder, dass Bertram Rust aus einem luxuriösen Büro im obersten Stockwerk eines hypermodernen Wolkenkratzers schaute, wenn er eine Pause machte, was häufig geschah. Das sei ihm zugestanden, fand er, denn seine Kriegsverletzung verlangte nach Schonung. Was auch immer Stärkung bedeutete. Und die beste Stärkung, die ihm geschehen konnte, fand Bertram Rust, ist Alkohol. Denn den gab es in seiner Familie schon immer reichlich und nie hat das irgendjemanden geschadet.

Zwischen jedem Telefonat gönnte er sich einen Schluck. Im Laufe seines zwölfstündigen „büroorientierten Daseins“, wie er seine Lebensweise nannte, kam somit eine Menge „Trinkzeug“, wie Bertram Rust sagte, zusammen. Je mehr, desto eher konnte es passieren, dass er von einem „büroorientierten Dahinsein“ sprach – einen Running Gang, wie er fand, den er sich gönnte, um die „Komplexität meines Arbeitslebens“, wie er es oft zu seinem Hund Prometheus, gerufen Proto, sprach, besser aushalten zu können.

Denn BDSS-Vorsitzender zu sein, hieß, so fand Bertram Rust, etwas für das Allgemeininteresse zu tun. „Mehr Allgemeinheit gibt es nicht, mehr Leute können Sie nicht erreichen“, sprach er zu seinen Besuchern, wenn es galt, einen hohen Preis für Sponsorenverträge auszuhandeln. Niemand widersprach ihm.

BDSS-Vorsitzender zu sein, verlangte auch, fand Bertram Rust, „klar“ zu sein, wie er es gern gegenüber seiner schwerhörigen Frau nach Feierabend zu schreien pflegte. Worauf sie ihm einen „Klaren“ einschenkte. Sie liebten dieses Wortspiel mit Tathandlung, denn Rituale braucht der Mensch, meinten beide. Sie stießen dann an, herzhaft, zumeist ging etwas verschütt. Hund Proto, Schäferhund mit Kriegsverletzung, nahm das freudig zur Kenntnis.

Bertram Rust hatte seine Frau im Krieg nach seiner Verwundung kennen gelernt. Sie führte die Säge, als es an die Amputation ging. Viel Blut ging verloren, sie hatte sich mehrmals versägt. Die Ärztin, also seine spätere Frau, spendete ihr eigenes Blut, um ihm am Leben zu halten. Drei Tage später schworen sie sich ewige Treue.

Bald gab sie ihren Beruf auf. Als sie glaubte, dass gegenüber ihrem Mann rechtfertigen zu müssen, forderte der sie zum Nachschenken auf und meinte: „Man muss nicht immer nach dem Grund fragen.“ Ein Glas später fügte er hinzu: „Ich verdiene für zwölf. Jeder hier wird mit einer Mastercard Doppelplus ausgestattet.“ Seine Frau war einverstanden, Hund Proto schien zu nicken.

Bertram Rust war zufrieden, dass seine Frau nun ganz für ihn da sein konnte und seine Frau war zufrieden, dass sie nun nur noch Geld auszugeben brauchte. Sie verstanden sich. Meistens. Nur bei Fragen zum BDSS konnte es mal krachen. Auch seine Frau war dort wer. Sie leitete den Förderverein.

Und dieser Förderverein, wusste Bertram Rust, würde ein wichtiges Wort mitreden, wenn es auf der nächsten Tagung des Sekretariats des Vorstands des BDSS zum Tagesordnungspunkt Eins kam. Dass es keinen zweiten Tagesordnungspunkt gab, hatte allen Eingeladenen deutlich gemacht, dass es heikles zu besprechen gab. Einige befürchteten eine Spaltung des BDSS. Der Riss könnte quer durch die Familien gehen, sprach man.

„Wie schaffen Sie es, mit so wenig Personal so viele Dienste zu leisten“, wurde Bertram Rust von seinem Besucher gefragt. 34 Angestellte arbeiteten im Wolkenkratzer, in jedem Geschoss einer.

„Und warum braucht jeder Angestellter so ein großes Geschoss nur für sich? Die produzieren doch nichts, sitzen nur am Schreibtisch.“

„Denken Sie nach“, sagte daraufhin Bertram Rust. Er sah einen überforderten Blick und fügte hinzu: „Wenn das zu viel ist, zählen sie einfach 1 und 33 zusammen“. Daraufhin gönnte sich Bertram Rust eine Kunstpause, er genoss das Staunen seines Besuchers. Die Pause war so lang, dass er aus der Glasfront schauen und einen Schluck Trinkzeug nehmen konnte. Irgendwann kam aus dem Mund seines Gegenübers: „34. Ich weiß um die Anzahl ihrer Geschosse, Herr Rust, aber meine Frage … “.

Bertram Rust unterbrach ihn und sagte: „Falsch: Ein mal 34 mal 33“.

„Sie machen es aber spannend“, sagte der Besucher. Er bemühte sein Smartphone; alsbald artikulierte er das Ergebnis der Rechnung: „Ein mal 34 mal 33 ist 1.122. Und nun, Herr Rust? Was soll die Zahl, bitte?“

„Tja,“ tönte Bertram Rust. „Man staunt oft über uns. Erst sabotierte man aus kleinlichen Gründen unseren Vereinsnamen BDSS und dann kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Die Zahl 1.122 ist da ja nur ein Beispiel.“

Der Besucher übte sich in Geduld. Sein Interesse an einem  Sponsorenvertrag war überragend. Er ertrug alles.

„1.122 sprengt, ich weiß, die Vorstellungsmöglichkeiten des Alltagsverstandes. Wir beweisen damit, also mit dieser Zahl, dass wir das können, wovon früher der ADAC oder andere nur träumten.“

Können Sie mir einfach antworten, dachte der Besucher, sagte aber nichts, da er ja einen Sponsorenvertrag abschließen wollte. Stattdessen sagte er: „Ja.“ Er hatte im Vorfeld seines Besuches erfahren, dass dieses Wort immer gut kommt, wenn man mit Bertram Rust spricht.

Und der sprach: „Man macht uns das Leben schwer. Jedenfalls, wer etwas zu sagen hat.“ Bertram Rust atmete erleichtert auf, nachdem er daran denken musste, dass das so viele nicht waren.

„Aber …“

„Wie aber?“

„Aber ja …“

„Sie meinen“, schlug Bertram Rust vor, „angesichts unseres Erfolges kann uns das egal sein? Treu dem Motto ‚Neid muss man sich verdienen‘? So, Herr Besucher“ – Bertram Rust interessierte sich nicht für Namen, „wollen wir aber nicht denken, wir nicht. Vielleicht war das beim ADAC oder anderswo so, aber nicht bei uns. Wir haben Werte, Werte, die uns wichtig sind. Mir wird von den Feinden  Egozentromaniedoppelplus vorgeworfen, was davon ablenken soll, dass mein ganzes Verhalten davon motiviert ist, den Interessen unserer Mitglieder, die zugleich ein Allgemeininteresse sind, gerecht zu werden.“

Pausen können viele Zwecke erfüllen. Die Folgende erinnerte Bertram Rust daran, dass noch was zu klären ist. „Die Zahl 1.222 zeigt, dass wir den Stempel aufzudrücken wagen.“

„Ja.“

„Wir haben in der Tat in jedem unserer 34 Stockwerke nur einen Angestellten, Herr Besucher. Und der produziert tatsächlich nichts und hat auch nur einen geringen Raumbedarf mit einem mittelgroßen Schreibtisch, von wo aus er fleißig Dienste leistet.“

„Sagte ich doch. Darf ich nun noch wissen“, fragte der Besucher leise, „wozu brauchen die Angestellten den ganzen Platz?“

„Tja, Herr Besucher“, grinste Bertram Rust, „denken Sie daran, dass jeder junge Mensch in seinem Lebenslauf stehen haben will, dass er bei uns gearbeitet hat … In jedem Stockwerk überwacht ein Angestellter die Dienste von 33 Praktikanten … “

♦         

Mit seiner Leidenschaft für den Alkohol war Bertram Rust aus der Zeit gefallen. Nicht nur das, Alkohol zu konsumieren, war strafbar, jedenfalls wenn man es über eine homöopathische Dosis hinaus tat und wenn man den Konsum nicht auf die sogenannten Shit-Days beschränkte. Wir schreiben das Jahr 2084. 20 Jahre nach Beendigung des Großen Krieges.

Dass es bereits wieder Wolkenkratzer gab, und dazu noch von einer bisher nie gekannten Modernität, hätte bei Kriegsende, also 2064, niemand für möglich gehalten. 70 Jahre wird es dauern bis unsere Städte wieder normal aussehen, hatte man gedacht. Man hätte es besser wissen können, denn schon nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Krieg, der nun Kleiner Krieg hieß, hatte man geglaubt, dass der Wiederaufbau eine gefühlte Ewigkeit dauern wird. Dabei hatte man schon neun Jahre später, als Deutschland Fußball-Weltmeister wurde, an allen Orten hören können: Wir sind wieder wer. Man hatte das auch so gemeint.

Bertram Rust klopfte auf sein Knie und lauschte auf das Echo seines Tuns, als er von seinem Büro auf den Transrapid schaute, der aus der Ferne wie ein Leuchtfeuer angezischt kam und alsbald Halt machen würde, hier, direkt vor seinem Wolkenkratzer, der im Volksmund nur Bertramturm hieß. Der Name der Haltestelle lautete, niemand hätte etwas anderes vermutet, BDSS.

Ich bin stolz auf mein Amt als Vorsitzender des BDSS, fiel Bertram Rust ein, als er nach dem Stopp des Transrapids zu seinem Erstaunen niemanden aus dem sogenannten Schnellzugdoppelplus aussteigen sah. Obwohl ein Amt war es ja gar nicht, korrigierte er seinen Einfall, schließlich war er gewählt. 499 Delegierte, darunter 234 Diverse, hatten ihn letztes Jahr, also 2083, einstimmig für eine weitere Wahlperiode zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Einen Gegenkandidaten hatte es nicht gegeben und die neue Wahlperiode war auf seine Lebenszeit verlängert worden.

Bertram Rust konnte sich, wusste er, unmöglich verguckt haben. Sein Fernrohr hatte zuverlässig gearbeitet, niemand war an der aus Marmor gebauten Haltestelle zu sehen gewesen. Ein Einäuiger sieht alles, versicherte Bertram Rust gegenüber Hund Proto.

Bertram Rust war not amused, dass der angekündigte Gast, der aus guten Gründen mit dem Transrapid anreisen sollte, nicht zu kommen schien. Das letzte Mal, fiel ihm ein, war jemand 2063, es war im Schützengraben, unentschuldigt einer Verabredung ferngeblieben. Deswegen hatte er damals ein Auge verloren, womit sein Fernglas völlig nutzlos geworden war. Noch heute konnte er sich darüber ärgern, schließlich handelte es sich um ein Erbstück.

Als Bertram Rust ziellos überlegte, wie er dem Verrat, so empfand er das unentschuldigte Wegbleiben seines Gastes, begegnen soll, klingelte das Telefon. Sofort drückte er auf einen Metallknopf, der in seinem Unterarm eingenäht war, und sprach: „Über diesen Telefonanschluss können mich nur drei Menschen erreichen.“

Es kam keine Antwort. Die Pause irritierte Bertram Rust. Es gibt hier nur einen Menschen, der Pause machen darf, dachte er gerne. Gerade wollte er darüber telefonöffentlich Auskunft geben, da erhielt er eine Antwort.

„Dann bin ich jetzt Nummer vier.“

Bertram Rust wusste nicht, ob er die Stimme schon einmal gehört hatte. „Das ist eigentlich nicht möglich,“ sagte er. Das Eigentlich passte nicht zu ihm, merkte er, offensichtlich bin ich verunsichert, merkte er auch noch.

„Ich habe die Telefonnummer von deiner Nummer Eins“, sagte der Anrufer.

„Das würde meine Frau nie machen,“ fand Bertram Rust sich erneut ungewohnt reden hören.

„Sie hat es auch nicht freiwillig gemacht.“

Jetzt erkannte Bertram Rust die Stimme. Sein Glas fiel ihm aus der Hand, genau auf sein Knie, was ein klirrendes Echo nach sich zog.

Mit „Ich melde mich bald wieder“ hatte Nummer 4 das Telefongespräch beendet.

Was meinte er mit bald, fragte sich Bertram Rust, nachdem er schon den halben Nachmittag runter auf die Haltestelle „BDSS“ geglotzt hatte. Statt sich in den Transrapid zu setzen, am Bertramturm auszusteigen und den Termin mit mir wahrzunehmen, hat er meine Frau entführt; er konnte sich sicher sein, dass ich nicht zu Hause bin. Nie hätte ich mich auf seine Mail einlassen dürfen, nicht, ohne ihn checken zu lassen. 61 Jahre hatte ich ihn nicht gesehen, zuletzt im Oktober 2023. 19 Jahre alt oder so waren wir damals. Putin, Präsident eines Landes, das sich Russland nannte, war gerade hingerichtet worden. Nur Nummer 4 und ich wussten von wem.

„Darf ich die Scherben aufheben?“, fragte die Sekretärin von Bertram Rust, eine Praktikantin. Bertram Rust hatte sich Kaffee und Kuchen bringen lassen, Alkohol geht jetzt nicht, ich trinke erst wieder, wenn meine Frau da ist, hatte Bertram Rust gedacht, dann, klar, einen Klaren.

„Wie lange halten Sie es ohne ihren Mann aus?“, fragte Bertram Rust seine Sekretärin.

Die Sekretärin zögerte etwas. „Nach einer Arbeitsschicht will er mich sofort sehen.“ Nie fragte die Sekretärin Bertram Rust nach dem Grund, denn das durfte nur seine Frau. Schweigen, wusste sie, war das Beste für ihren Lebenslauf.

Das Fehlen seiner Frau machte Rust wütend, er wollte wohin mit seinem Dampf, forderte den Blick seiner Sekretärin, wollte hören, was er längst wusste: „Steckt er ihn dir immer noch gegen deinen Willen rein und tust du dann ′Aua-Aua′ schreien?“

Ihre Mundwinkel zuckten, sie murmelte, ohne zu wissen, was. Bevor sie antworten musste, schickte Bertram Rust sie raus. Eine Scherbe hatte ihre Hand verlassen, sie kugelte Richtung Rust.

Der 35. Stock garantierte Bertram Rust von jedem Fleck einen Rundblick in die Himmel- und Stadtlandschaft. Einen Fahrstuhl gab es zur letzten Etage nicht, die Treppe war unterbrochen von drei Türen.

Erneut klingelte Bertram Rusts Unterarm. Wer von den dreien ist es, fragte er sich, nein, von den vieren, korrigierte er sich.

„Bertram!“

„Frau!“ Was kann ich mich freuen, wunderte sich Bertram Rust.

„Ich muss dich gleich weitergeben. Mein Entführer will dir nur zeigen, dass ich noch lebe.“

Ich werde gleich eine andere Stimme hören, eher ohne Freude, dachte Bertram Rust. In der Tat. „Ihr geht es gut, jedenfalls ziemlich. Bisschen angespannt, so wie wir damals.“

Den Kerl hatte ich fast vergessen, belog sich Bertram Rust, und nun das. „Mein lieber …“

„Nenne mich nur Nummer 4!“

„Ja“, brummte Bertram Rust und überlegte, wie lange er dieses Wort nicht mehr gesagt hatte. „Nummer 4. Was willst du von mir? Eine Kredit-Doppelplus-Karte? Kein Problem. Freischeine für den Konsum von Genussmitteln? Kein Problem. Sag‘, was willst du?“

„Nichts dergleichen. Du musst dich in Geduld üben,“ sprach Nummer 4 und legte auf.

Er hat einen Grund, warum er es spannend macht. Und ich muss mich wohl oder übel für einen Grund interessieren, dachte Bertram Rust, legte sich in seinen Sessel  und schmiss seinen rechten Fuß auf den Tisch. Es schepperte, auch die Tischplatte war aus Metall.

Ohne Ankündigung meldete sich eine Ernsthaftigkeit in seinen Gedanken, die er schon lange nicht mehr kannte. Von dort ist es nicht weit bis zur Wahrhaftigkeit, befürchtete Bertram Rust, denn Wahrhaftigkeit widersprach dem von der Verfassung definierten Way of Life und sogar mehr als das, letztendlich war sie strafbar. Irgendwas rast gerade in mir, stellte Bertram Rust fest, er forderte seinen Willen zur Ignoranz des Herzrasens, das funktionierte aber nicht, bald schoss es aus ihm raus: „Schluss mit zynustig!“ Erschrocken registrierte er, dass er dabei nicht zu Hund Proto sah. Dem Herzrasen gesellte sich Schweiß, das Unbehagen beherrschte ihn. Was ist los, fragte er sich, wissend, dass ein Unbehagen der Anfang vom Verrat am Zynustigismus sein konnte …

Der Zynustigismus war Staatsräson. Er wollte keine Ideologie sein, aber natürlich war er eine. Er hielt am Leben, was nicht mehr leben wollte, die Gattung Mensch.

 

2

„Versprich mir, dass du dich nicht umbringst.“

Stefan Seilig kam der Bitte seiner Tochter nach, augenblicklich froh, dass die Frage ihn somit nicht mehr quälen konnte. Seine Tochter wusste, dass sie sich auf die Antwort verlassen konnte; sie lächelte, dann starb sie.

„Mach’s wie Diogenes“, hatte sie gesagt, ohne dabei den Eindruck zu vermitteln, dass das nicht so gemeint war. „Und zwar sofort!“ Stefan Seilig hatte die Aufforderung seiner Tochter noch in den Ohren, als er ihren toten Körper aus dem Baumhaus seilte, eine Kraftanstrengung, immer weniger Sachen fielen leicht. Die Schubkarre nahm den Körper auf, das, was davon übrig war.

Stefan Seilig drückte die Karre sodann den Weg runter, mitten durch das Eiland, fast bis zur Nordspitze. Nur einige Stunden wird es dauern, bis Haut und Organe von den Tieren abgenagt waren; die Tochter hatte ihrem Vater verboten sie zuzudecken. „Und du haust gleich ab, keinen Blick zurück, du weißt.“

In der Tat wusste Stefan Seilig, warum Zurückschauen ungut ist. „Vom Nutzen und Nachteil der Geschichte“, wie mal ein Philosoph einen Aufsatz überschrieben hatte, war seit dem Großen Krieg nur noch der Nachteil übrig geblieben, waren Stefan Seilig, seine Tochter und seine Frau überzeugt, als sie bei Kriegsausbruch hierhin geflohen waren. Nutzen hätte Verarbeitung möglich machen müssen, aber der Große Krieg konnte nicht verarbeitet werden. Auch Verdrängung funktionierte, um zu überleben, nicht. Es blieb nur die Ignoranz. Eigentlich nicht mal das, es gab kein Wort, das passte.

Und so war es auch nun, als Stefan Seilig den Weg zum Baumhaus zurückging. Kein Gedanke passt, wusste er. Weitermachen.