Siegfried Lenz, Schweigeminute, DTV 2009.
Siegfried Lenz gehört zur Anstands-Thomas-Mann-Literatur: Mit der Niederlage in der 1848er-Revolution versprach sich das Bürgertum nichts mehr von der Geschichte. Die gesellschaftlichen Verhältnisse gingen für den Bürger fortan im Prinzip in Ordnung; die Probleme dieser Welt lägen in falschen Verhaltensweisen begründet. Klar, dass Lenz somit ein Freund von Helmut Schmidt wurde, der sich trotz Anbiederei in der NS-Zeit einen Namen als Hüter von Anstand und Moral machen konnte. – Weiß man von alledem nichts, kann der Leser die wunderbar erzählte, traurige Liebesgeschichte zwischen zwei seelisch ungewöhnlich gesunden Menschen „als Lenz vielleicht schönstes poetisches Buch“ (Marcel Reich-Ranicki) genießen. Der Leser wird verführt, Liebesleid auch als liebes Leiden zu fühlen.